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Sept. 2005






Rolf Sachsse:
Die Frage nach dem Original. Zur deutschen Photographie heute

"Nennt es wie Ihr wollt, aber nennt es nicht Photographie!" appellierte Grant B. Romer, Chef der Restaurierungsabteilung am George Eastman House, Rochester NY, dem größten Photomuseum der Welt, an die Hörerinnen und Hörer einer Konferenz zum Erhalt von Photoarchiven.
Ihm ging es darum, sämtliche Verfahren Computer generierter Lichtbilder von der ursprünglich physikalisch-chemischen, quasi "analogen" Photographie fernzuhalten. Einige Monate später, im Frühjahr 2005, titelte gar eine Konferenz zum selben Thema mit der Feststellung, dass "das Original in der Photographie" "ein Begriff in Auflösung" sei. Die anwesenden Sammler photographischer Bilder wurden mit der Ankündigung geschockt, dass sie entweder ihre Bilder in dunklen Kühlräumen zu lagern oder auf eine längere Lebensdauer zu verzichten hätten.

Die Realität ist weiter: Der größte Hersteller von Photoapparaten weltweit ist inzwischen ein Hersteller von Mobiltelephonen, und die alltägliche Praxis des Bildermachens für die schnell konsumierte Erinnerung findet bereits ihren Niederschlag in Kunst und Design. Sei es die Malerei nach schnell geschossenen Motiven, die zur Zeit von Leipzig aus als deutsche Kunst etabliert wird, oder seien es die Bilder von Katastrophen, die durch die Telephonphotographiererei eine neue Note des Authentischen erhalten und damit einen erneuten Niederschlag in Aktionsformen der bildenden Kunst finden werden – das digitale Bildermachen ist allgegenwärtig, referiert jedoch nicht mehr ein künstlerisches Produkt, sondern ein schnelles und wenig reflektiertes Handeln vor Ort. Was dies langfristig für die künstlerische Praxis bedeuten mag, ist im Bereich der Medienkunst schon thematisiert worden. Nur sieht sich diese, und weitgehend zu Recht, nicht mehr Teil der Photographie.

Gleich auf welchem Weg entstanden, sind sich Kunstmärkte und Designforen darin einig, dass als Photographie heute alles zu bezeichnen sei, was nach apparativer Aufnahme einen analogen oder digitalen Bearbeitungsprozess durchlaufen hat und schließlich in irgendeiner Form auf Papier gelandet ist. Wie in der bildenden Kunst sei im folgenden also alles als "Werk" bezeichnet, das seinen materiellen Niederschlag in direkter Anschauung preisgibt, eben als photographisches Bild.

Gleich wie man die heutigen Verfahren nennt, die in der Photographie ihren Ursprung hatten, sie sind alle gleich gut im öffentlichen Bewusstsein vertreten – Photographie ist sicher das geworden, was man ein Leitmedium in Kunst und Design nennen kann. Das hat aber auch dazu geführt, dass die einzelnen Leistungen nicht mehr im Medium diskutiert werden, sondern jenseits davon. Insofern lässt sich die Aussage wagen, dass die Photographie perfekt im kulturellen Lebens Deutschlands angekommen ist. Es könnte allerdings sein, dass sie gerade dadurch als eigenständige Kunst verloren geht.

(c) Goethe-Institut, Online-Redaktion und der Autor
Prof. Dr. Rolf Sachsse lehrt Designgeschichte und Designtheorie an der Hochschule der Bildenden Künste Saar in Saarbrücken Dieses Dossier ist die Zusammenfassung eines Vortrags auf dem Internationalen Seminar zur Fotografie im Goethe-Forum Berlin am 24.9.2005



. . . . . . . . Jan-Michael Sobottkajansobottka@gmx.de
Stand 7 / 06
Foto oben: H. Lippmann, 2005

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